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Look Back in Anger

Als das Londoner Szene-Theater „Royal Court Theatre“ 1956 John Osbornes Stück „Blick zurück im Zorn“ uraufführte, hob es damit das Schlagwort von den zornigen jungen Männern“ aus der Taufe.

Am gestrigen Montag veröffentlichte Notenbank-Legende Alan Greenspan seine Memoiren, die den beunruhigenden Titel „The Age of Turbulence“ tragen.

Von einem jungen Mann kann bei Greenspan trotz allgemein gestiegener Lebenserwartung nicht mehr ganz gesprochen werden, wohl aber von einem zornigen. Denn aus dem, was bis dato aus seinem zum Bestseller verdammten Buch durchgesickert ist, lässt sich schließen, dass es hier in weiten Teilen um eine unverhohlene Abrechung mit der Bushregierung geht.

Und, auch das weiß man schon, um eine Verteidigungsschrift gegen den Vorwurf, die heutigen Krisen der Finanzmärkte mit verursacht zu haben. Nur:

Greenspan: Hände in Unschuld waschen?

Diesen Vorwurf muss sich der Altnotenbanker gefallen lassen, ob es ihm nun gefällt oder nicht:

1987, Greenspan war gerade einmal gut zwei Monate im Amt, wurde die Wall Street vom größten Crash seit 1929 erschüttert. Und „der Neue“ an der Spitze der US-Notenbank tat das einzig Richtige: Er drehte den Geldhahn auf und flutete den Markt mit frischem Geld, was einen drohenden Flächenbrand im Keim erstickte und die internationalen Börsen wieder auf den Haussepfad zurückführte.

Der geglückte, bravouröse Schachzug der Notenbank blieb jedoch nicht folgenlos – im wahrsten Sinne des Wortes: Denn fortan setzte Greenspan die große Liquiditätsspritze immer wieder ein: Ob beim Einbruch einer mittelamerikanischen Währung, bei der Pleite des LTCM-Fonds, dem Platzen der Blase der New Economy, den Anschlägen vom 11.09.2001 etc.

Geldmenge M3: Explosion auf 34 Jahreshoch!

Kurz vor dem Stabwechsel an der Spitze der Federal Reserve Anfang März 2006 beschloss die US-Notenbank, die Geldmenge M3 nicht mehr zu veröffentlichen, da sie keine Aussagekraft mehr hätte. Unschönerweise ist es noch gar nicht so lange her (und dennoch in Vergessenheit geraten), dass gerade die Geldmenge M3 für die Börsianer einen zumindest ähnlich hohen Stellenwert genossen wie heute die Arbeitsmarktzahlen oder Daten vom Immobilien-/Hypothekenmarkt.

Eine Ausweitung von M3 kann unterschiedliche Ursachen haben und muss entgegen landläufiger Einschätzung keineswegs per se „inflationär“ sein. In den USA mit einer negativen Sparquote und einem schuldenfinanzierten Überkonsum deutet sie jedoch daraufhin, dass sich die Verbraucher ungehemmt der billigen Kredite bedienen. In welchem Ausmaß das tatsächlich der Fall ist/war, belegt die aktuelle Problematik am Häusermarkt.

Die im August per Druckinfusion notfallmäßig in die Märkte gepumpte Liquidität hat M3 nach Berechnungen von www.shadowstats.com auf ein 34-Jahreshoch katapultiert. Die ebenfalls von diesen unabhängigen Analysten berechnete Inflationsrate liegt bei über zehn Prozent.

Befürworter der Greenspan’schen Politik führen gerne an, dass es an den Finanzmärkten in den gut 20 Jahren seiner Amtszeit schon längst zu einem oder mehreren markanten Rückschlägen gekommen wäre, hätte der FED-Chef seine Politik des leichten Geldes aufgegeben.

Abgesehen von der Baisse 2000 – Anfang 2003 ist das zweifellos richtig. Aber genau das ist das Problem: Anstatt es den Märkten zu ermöglichen, Übertreibungen zu korrigieren und Exzesse abzubauen, führte Greenspans Politik dazu, dass die heißen Kartoffeln durch neue, noch heißere und vor allem größere abgelöst wurden.

Zu argumentieren, dass ja niemand von den Konsumenten, Hauskäufern, Private Equity- Gesellschaften oder Hedgefonds gezwungen worden sei, sich der billigen Kredite zu bedienen, und all die, die das taten, in die Schublade „Spekulanten“ zu stopfen, geht weit an der Lebensrealität vorbei:

Gerade (auch) die US-Notenbank, die die wahren Inflationszahlen, die ausufernde Verschuldung und die echten Wachstumszahlen bestens kannte, versicherte Anlegern und Konsumenten mit einem geradezu vorsätzlich wirkenden und bewusst irreführenden Beschwichtigungsfeldzug immer wieder, dass sie sich in der besten aller denkbaren Welten befänden. Und gerade Greenspans über die Jahre gewachsener Status und das in ihn von dem meisten Anlegern und Konsumenten gesetzte Vertrauen hätte es m. E. strikt verboten, dies zu tun.

Das Erkennen alter Fehler schützt nicht vor neuen!

Bitte lesen Sie nun ein Zitat aus einer Analyse zum Zusammenbruch der Weltwirtschaft 1929:

„ Der Überschuss an Krediten, den die Nationalbank von Japan und die FED in die Wirtschaft gepumpt hatten, sprang auf den Aktienmarkt über – was einen phantastischen spekulativen Boom auslöste. Verspätet wurde von den Vertretern der Federal Reserve versucht, den Liquiditätsüberhang abzuschöpfen und schließlich gelang es auch, den Boom zu stoppen. Aber es war zu spät. [...] Die Weltwirtschaft stürzte in die große Depression der 30er Jahre.“

Nun: Diese treffende Analyse stammt von Alan Greenspan selbst, veröffentlicht in „Gold and Economic Freedom“, erscheinen 1966 im „The Objectivist“.

Vergleiche ich die Zinspolitik unter Greenspan mit dieser Erkenntnis, wird es mir ein wenig flau in den Knien. Denn die Kreditausweitung der vergangenen Jahre verlief um ein Vielfaches ärger als im Vorfeld der 1929er Problematik.

Es sollte klar sein, dass es zwischen dem Kreditexzess und einer Prognose des Kommenden keine einfache Verbindung gibt. Dem Ex-Notenbankchef dürfte aber sehr wohl bewusst sein, welche Risikokonstellation von ihm mit verursacht wurde.

Die Problemkonstellation - auch daran hatte Greenspan ja schon erinnert – ähnelt ein wenig der von 1987, also dem letzten wirklichen „Crash“ (2000 – 2003 war ein Crash, sondern eine ausgewachsene, lang anhaltende Baisse).

Richtig ist das zumindest im Hinblick auf die US-Währung, der zuletzt im „Dollar-Index“ neue historische Tiefs angesteuert hat. Anders als 1987 haben wir heute jedoch noch eine ausgewachsene Immobilien-/Kreditkrise und die Gefahr einer Auflösung der Carry-Trades sowie erhebliche Unwägbarkeiten im während der vergangenen Jahre explosiv gewachsenen Hedgefonds- und Private Equity-Bereich, dessen Volumen heute auch für Insider eine „Black Box“ ist.

Gesagt werden muss noch eines: Der finanzielle Engpass des Immobilienfinanzierers Northern Rock in Großbritannien hat weltweit Szenen in die Wohnzimmer übertragen, wie man sie nur aus Erzählungen kennt: Lange Warteschlangen wütender Anleger, die Angst um ihr Geld haben und teilweise von der Polizei zur Ruhe gebracht werden müssen.

Und jetzt: Sehen Sie sich bitte einfach einmal einen Chart des Dow Jones oder des S&P 500 an! Die beiden wohl bekanntesten US-Indizes notieren aktuell weniger als fünf Prozent im Minus. Nein. Das verdient nicht einmal den Namen „Korrektur“.

Warten wir ab, was daraus wird. Nicht die Stimmung ist schlechter als die Lage – das Gegenteil ist richtig.

Ab jetzt: Jede Woche!

Ab jetzt wird hier an dieser Stelle jede Woche ein Beitrag von mir erscheinen. Wenn Sie den Inhalt meiner Aussagen nicht schätzen, sind wir schon zu zweit. Aber die Dinge sind, wie sie sind. Daraus machen lässt sich etwas, interessanterweise sowohl im lang- wie im kurzfristigen Bereich.

Beste Grüße!
Axel Retz

PS Der Verfasser ist Herausgeber von www.private-profits.de, einer Webseite, die sich ausschließlich an Privatanleger richtet und keinerlei Fremdinteressen verfolgt.

KOLUMNE, erstellt für www.finanztreff.de am 17.09.2007


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