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MONEY FOR NOTHING

Liebe Leserinnen und Leser,

haben Sie‘s auch mitbekommen: Die Ungewissheit über das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe in Japan drückte am Freitag kräftig auf die Kurse am deutschen Aktienmarkt. Zumindest laut Nachrichten von B5 aktuell und einiger Börsensender im Fernsehen. Kleiner Irrtum. Denn:

Die Kurse waren bereits am Vorabend im nachbörslichen Handel gesunken, nachdem sich ein erneutes Umfallen der deutschen Bundesregierung im Disput um die Ausweitung des Rettungsschirms abgezeichnet hatte, garniert mit einem Kommentar der Kanzlerin in BILD vom Freitag, dass der Euro die Kaufkraft der Deutschen stärke. Auch ein kleiner Irrtum: Die neuen Inflationszahlen, am gleichen Tag veröffentlicht, insbesondere aber die auf ein 30 Jahreshoch explodierten Produzentenpreise und die Ankündigung der Deutschen Bundesbank, dass die EZB den Leitzins in diesem Jahr noch bis auf 1,75 Prozent anheben könnte, vermittelten das genaue Gegenteil.. Aber irren ist ja menschlich. Testen Sie es selbst:

Wie viele Kalorien, mal so ganz grob gerechnet, hat denn wohl eine Tafel Schokolade, eine Flasche Wein oder auch Bier? 500, 700 und 200? Und wie viele Kalorien, wiederum x mal Pi mal Paddelboot, muss man unterhalb seines Kalorien-Solls bleiben, um ein Kilogramm überflüssigen Körpergewichts abzubauen? 6.000 - 7.000, meinen Sie?

Das ist leider falsch bzw. irrig. Erschrecken Sie nicht: Aber eine einzige Tafel Schokolade schlägt tatsächlich mit ca. 500.000 Kalorien zu Buche bzw. auf die Rippen, eine Flasche vergorenen Rebensaftes mit etwa 700.000, und um ein Kilogramm Körperfett loszuwerden, müssen Sie sich rund 6.000.000 Kalorien vom Munde absparen.

Und das aus dem einfachen Grund, dass die heute in den Köpfen verankerte Einheit „Kalorie“ tatsächlich kcal, also Kilokalorie heißt und damit das Tausendfache einer Kalorie darstellt. Einmal ganz davon abgesehen, dass die 9. Generalkonferenz für Maße und Gewichte in Paris die Kalorie schon 1948 zugunsten von Joule abschaffte, die EU sie nach der jüngsten Richtlinien aus dem Jahre 2010 neben Joule wieder als  zusätzliche Angabe rehabilitierte, abgesehen von Lebensmitteln, wo statt cal eben kcal angegeben werden müssen.

In Politik, Wirtschaft und Finanzmarkt hat man sich an den Umgang mit der zunehmenden Zahl von Nullen mittlerweile gewöhnt. Und ab einer gewissen Größenordnung, die wohl irgendwo zwischen 1.000.000 und 100.000.000 beginnt, spielt es für die Meisten einfach keine Rolle mehr, ob sich noch ein paar Nullen mehr hintanstellen: Zwischen Milliarde und Billion verschwimmt der finanzielle Überdruck exzessiver Schuldenexpansion im Diffusen, erst recht, wenn er unter dem psychoaktiven Aphrodisiakum eines XXL-Aufschwungs firmiert.

Rein rechnerisch, um den Terminus erneut zu bemühen, glänzt auch der deutsche Arbeitsmarkt. Und seit Freitag letzter Woche auch der amerikanische. Übersehen wird dabei, dass rund ein Drittel aller hierzulande neu entstandenen Jobs im Niedriglohnsektor oder in gering vergüteter Leiharbeit beheimatet ist. Und wo wir gerade beim Drittel sind: Exakt 33 Prozent aller vollschichtig beschäftigten Frauen arbeitet im Niedriglohnbereich. Das ist XXS - ebenso wie die später einmal aus Minilöhnen erwachsende Rente XXS wird auch die Rente.
Die Politik nimmt diese Entwicklung, wo sie sie nicht sogar fördert, zumindest stillschweigend hin, ebenso wie mit der konsequenten Blockade eines Mindestlohns. Zumindest solange es die Arbeitsmarktstatistik aufhellt und den Konsumenten das psychologische Wohlgefühl des Aufschwungs zu vermitteln scheint.

ABGESCHIRMT

Wohlgefühle erzeugen sollen wohl auch die wiederholten Statements aus Politik und Notenbanken, dass die Finanzkrise vorbei sei. Auch hierbei dürfte es sich um einen kleinen Irrtum handeln.
Denn ohne sich überhaupt mit Ursachen und den komplexen eigendynamischen Prozessen der Krise auseinander zu setzen, spannten die Verantwortlichen einen „Rettungsschirm“ nach dem anderen über den Status quo, so auch wieder in der Nacht zum Samstag.

Dass das auf diese Weise abgeschirmte Problem nicht beseitigt werden kann, indem man  nun statt seiner die Größe des Schirms in den Mittelpunkt der Bemühungen rückt, ist aus dem Blick geraten. Und auch wenn die jüngste Herabstufung der Kreditwürdigkeit erst Griechenlands  und dann Spaniens durch die New Yorker Ratingagentur Moody‘s überzogen sein mag, weist sie doch in die richtige Richtung.

Der schwarze Peter, wen wundert es, wird nun den Ratingagenturen zugeschoben. Wichtigster Vorwurf: Sie hätten erst die Finanzkrise verschlafen und überträfen sich nun gegenseitig mit immer neuen Herabstufungen. Warten wir, bis der Vorschlag auftaucht, den Ratingagenturen den Mund zu verbieten. Neu ist diese Idee ja ganz und gar nicht:

Inmitten der Finanzkrise wurde schließlich auch die Idee geboren, kritischen Analysten wie etwa dem damaligen Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, den Zugang zur Öffentlichkeit zu versperren. Die Logik dabei: Man dürfte die Krise nicht „herbeireden“. Was schwerlich möglich ist, wenn sie schon da ist.

MONEY FOR NOTHING

Alan Greenspan, im August 1987 ins Amt als Chef der wichtigsten Notenbank der Welt ins Amt gelangt, hatte in einem viel beachteten Aufsatz „Gold and Economic Freedom“ schon 1966 festgestellt, dass eine zu lange durchgehaltene Politik des billigen Geldes für die Wirtschaft äußerst problematisch werden kann, insbesondere wenn sie „einen spekulativen Boom“ auslöst, auf den die Notenbanken zu spät mit einer Verschärfung ihrer Geldpolitik antworten. So weit, so wahr.

Einmal im Amt, wurde der gerne als Magier des Geldes bezeichnete Notenbanker dann nur zwei Monate später vom 1987er Crash überrascht. Und er tat das einzig Richtige: Er öffnete die Geldschleusen und avisierte den panikbereiten Märkten, ggf. den Geldhahn bis zum Anschlag aufzudrehen.

Leider beging Greenspan, und ich bin mir völlig sicher, dass die Geschichtsschreibung das einmal festhalten wird, den entscheidenden Irrtum, den von ihm in den 60er Jahren herausgearbeiteten Fehler ab diesem Zeitpunkt zur Leitlinie seiner Politik zu machen - mit der Folge, dass diese Politik immer größerer und immer billigerer Kreditvergabe auch von anderen internationalen Notenbanken übernommen wurde.
Ausgehebelt wurde damit allererst die natürliche Wirtschaftszyklik, da die Greenspan-Doktrin eine geradezu irrationale Rezessionsscheu entwickelte, ungesunde Marktsegmente um jeden Preis mitschleppte und den Märkten signalisierte, dass „im Falle des Falles“ die Notenbank als Retter einspringen würde.

Diese Art der Geldpolitik, die eigentlich alles Andere als eine Politik ist, hat seit Anfang 2009 ihren Höhepunkt erreicht:
Verschärft durch die Lehman-Pleite „retten“ Notenbanken und Regierungen alles und jeden, der als „systemrelevant“ eingestuft und dessen wirtschaftlicher Untergang als folgenschwer eingestuft wird. Und die Rettungsorgie eskaliert selbst zunehmend zur Katastrophe, zu deren Bekämpfung sie angetreten ist.

So liegen die Leitzinsen heute inflationsbereinigt im Minus, was den richtigerweise als Ursache der Krise erkannten „spekulativen Blasen“ keineswegs Einhalt gebietet, sondern sie geradezu herauf beschwört.

Und auch, wenn die Notenbanken gebetsmühlenartig betonen, auf die Entwicklung der Rohstoffpreise keinen Einfluss zu haben, verwundert es daher ganz und gar nicht, dass die Rohstoffpreise punktgenau mit der Einführung der „Nullzinspolitik“ eine beispiellose Schussfahrt nach oben begannen, deren Inflationstreibende Auswirkungen von den Währungshütern heute wie vom Himmel gefallen mit zunehmender Beunruhigung zur Kenntnis genommen werden.

Mit für einen Notenbankgouverneur ungewohnter Deutlichkeit signalisierte EZB-Chef Trichet daher den Märkten in der letzten Woche, dass die Notenbank bei einem weiteren Anhalten der Aufwärtsentwicklung der Preise die Zinsschraube anziehen wird. Sicher: 1,25 statt 1,00 Prozent tun auch noch niemandem weh, aber sie signalisieren einen „Paradigmenwechsel“, der für die in die Bredouille geratenen Euro-Staaten zum denkbar ungeeignetsten Moment kommt. Zinserhöhungen und gleichzeitige Herabstufung der Bonität stellen für überschuldete Staatshaushalte eine kaum zu stemmende Bürde dar.

VORSICHT DEMENTI!

Ich hatte hier in diesen Kolumnen wiederholt unterstrichen, dass das Verlässlichste der derzeitigen Regierung ein Dementi ist. Dementiert Berlin etwas, können Sie sicher sein, dass es bald Realität wird. So auch diesmal: In der Nacht zum Samstag kippte die deutsche Delegation ihren Widerstand gegen eine Ausweitung des „Rettungsschirms“ erneut. Die Summen, mit denen jeder einzelne Steuerzahler Garantien für drohende Kreditausfallrisiken deutscher Banken  (um nichts Anderes geht es ja) aufs Auge gedrückt bekommt, wächst weiter und weiter. Noch nur als „Eventualrisiko“.

Und die Anleger: Sie haben die Lektion gelernt, die ihnen die Notenbanken erteilt haben. Und gehen davon aus, dass die Währungshüter es schon richten werden. Da bin ich mal gespannt. Und das sind auch die  Goldfreunde. Denn sie haben den Unzenpreis des Edelmetalls zuletzt auf ein neues Hoch getrieben und damit die seit Anfang Dezember laufende Konsolidierungsphase beendet. Aber sind Aktien nicht die bessere Alternative? Das ist eine Frage des Standpunkts. Denn wie die Financial Times Deutschland in ihrer Donnerstagsausgabe berechnete, liegt der reale S&P 500, in Gold gerechnet, heute auf seinem Stand von Ende 1927. Optimisten können argumentieren, dass das preiswert sei.

Weniger überzeugte Anleger schauen auch einmal nach Japan. Nicht wegen des schrecklichen Erdbebens dort, sondern wegen der Kursentwicklung des Nikkei in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. Um recht genau um zehn Jahre auf der Zeitachse verschoben, sieht der S&P 500 dem verblüffend ähnlich. Und wer sich noch tiefer in die Geschichte hineinwühlen mag, wird an Alan Greenspans oben genanntem Aufsatz viel Freude haben. Googeln Sie einfach nach „Gold and Economic Freedom“!

Mit besten Grüßen
Axel Retz

© 12.03.2011 www.private-profits.de


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