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1. INTERNATIONALES WETTRETTEN

Liebe Leserinnen und Leser,

dass die Finanzmärkte am Anfang einer völlig neuen, womöglich nie da gewesenen Krise stehen, diesen Eindruck vermitteln uns die politisch Verantwortlichen nun von Tag zu Tag mit größerer Eindringlichkeit. Und nehmen das zum Anlass, dem entsprechende, immer größer konfektionierte Rettungspakete,  Auffangschirme etc. etc. etc. zu schnüren, um der Krise Herr zu werden und - vor allem - den Spekulanten ihr gar scheußlich-schändliches Handwerk zu legen.

So richtig innovativ ist dieses Vorgehen nicht, sorry. Aber das Vergessen ist, wie ich gerne zu formulieren pflege, nun einmal eine der zuverlässigsten Funktionen des menschlichen Gehirns: Nach dem Börsen-Crash vom Oktober 1929 war es  Tradinglegende Jesse Livermore, der vor dem US-Kongress für den Zusammenbruch der Kurse verantwortlich gemacht werden sollte, nach dem Crash von 1987 versuchte man, George Soros für das Blutbad an der Börse zu belangen.  Einiges sollten wir uns also auch heute einmal klar machen:

Wir stehen keinesfalls „am Anfang einer völlig neuen, womöglich nie da gewesenen Krise“, sondern an ihrem Ende. Und verantwortlich für diese Krise sind auch nicht irgendwelche Spekulanten, die Bankrotteure sitzen vielmehr in den Parlamenten, den Regierungen und den Notenbanken. Nur Griechenland ist es zu verdanken, dass die letztwöchige Meldung der EU-Kommission, dass sich das Defizit der Euro-Staaten insgesamt seit 2008 verdreifacht hat, völlig untergegangen ist. Verdreifacht! Da mutet es wie blanker Zynismus an, wenn die EU-Finanzminister auf ihrer Montag früh zu Ende gegangenen Brüsseler Sitzung zur Rettung des Euro davon sprechen, künftig „noch mehr“ auf die Stabilität der Haushalte achten zu wollen.

Kaum ein EU-Land hält sich überhaupt noch an die von der Gemeinschaft selbst in Gesetzesform gegossenen Stabilitätskriterien. Stattdessen hat die Verschuldungsspirale ein immer irrwitzigeres Tempo erreicht, begründet ausgerechnet mit dem paradoxen Argument, damit verschuldungsbedingte Krisen bekämpfen zu müssen. Montagnacht wurden dafür die nächsten 750 Mrd. Euro „erschaffen“. Um diesen rechtswidrigen Akt irgendwie mit dem Maastricht-Vertrag in Übereinstimmung zu bringen, erklärten die Staats- und Regierungschefs die Euro-Krise kurzerhand zum „außergewöhnlichen Ereignis“ und stellten sie damit Naturkatastrophen gleich. Jean-Claude Trichet und die EU-Spitzen waren sich einig, dass wir es mit einer „systemischen Krise“ zu tun haben.

Denn natürlich hat „niemand die Krise kommen sehen können“, und ebenso natürlich „ist dafür auch niemand verantwortlich“. Beides ist schlicht und einfach gelogen. Ich zitiere wörtlich aus meinem „Kapitalschutz-Report“ von Mai 2003 (!), Seite 59/60:

„Der ultimative Abpfiff des „Wall Street-Spiels“ rückt näher, wenn die Zinsen zu steigen beginnen. Der Auslöser hierfür kann ein beginnender Vertrauensschwund der Anleger sein, eine Zunahme von Insolvenzen, die Herabstufung der Ratings vermeintlich „solider“ Unternehmen oder staatlicher Anleihen, ein renditesteigernder Wettlauf um Kapital an den Rentenmärkten, anziehende Arbeitslosigkeit oder die späte Einsicht vieler Marktteilnehmer in ein „systemisches“ Risiko und seine Folgen. [...] Die durch den drohenden Zusammenbruch des Systems erzwungene weitere Teilhabe am Kreislauf der Kreditvergabe wird jedoch ihr Ende finden, wenn die ersten Beteiligten das Handtuch werfen (müssen).

Eine konzertierte Aktion der Notenbanken und Politiker, die dieses Schicksal abwenden könnte, erscheint zurzeit leider wenig wahrscheinlich. Erfahrungen aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts geben wenig Anlass zur Hoffnung. Alan Greenspan hat die Ursachen der damaligen Krise bereits 1966 sehr präzise beschrieben - um als Notenbankgouverneur die exakt gleichen Fehler in noch schlimmerem Ausmaß zu wiederholen. Mehr noch: Mit der Errichtung des „Plunge Protection Teams“ beteiligt sich die amerikanische Notenbank nun vermutlich sogar an der manipulativen Verschleierung der außer Kontrolle geratenen Situation.
Realistischerweise muss gefolgert werden, dass es wenig wahrscheinlich ist, dass ausgerechnet diejenigen Beteiligten, die die Systemkrise sehenden Auges provoziert haben und ihren Auswüchsen hilflos gegenüber stehen, nun in der Lage sein könnten, eine Lösung des Problems zu bewerkstelligen!“

Wie gesagt, das schrieb ich vor genau sieben Jahren. Und Politik und Notenbank sind diesem Fahrplan in den finanziellen Orkus bis jetzt perfekt gefolgt.

ZU TODE GERETTET

Da man mag es wirklich gar nicht mehr hören: Mit dem Sparen will die Bundesregierung jetzt anfangen. Und mit dem Schuldenabbau. Und der Regulierung der Finanzmärkte. Und der Kontrolle  spekulativer Finanzgeschäfte.
Anfangen!
Immer noch. Nach drei vollen Jahren Finanzkrise, durch die sich diese Absichtserklärungen wie ein roter Faden ziehen. Denn dazu, so tönt es jetzt in verwegener Entschlossenheit aus Berlin, kann es keine Alternative geben.

„Keine Alternative“ scheint zum neuen Mantra der Politik geworden zu sein Wie einfallsreich. Als ob es keine andere Möglichkeit für einen Umgang mit Griechenland gegeben hätte, der dem Euro zugute gekommen wäre (nämlich den sofortigen Rausschmiss). Und als ob es keine Alternative dazu gäbe, dem Steuerzahler nach dem 22 Mrd. Euro-Rettungspaket für Athen gleich danach noch einmal 125 Mrd. Euro für die Rettung des angeblich untergehenden Euro aufzubürden. Wenn es ein Zeichen der Stärke des Euro gegeben hätte, dann wäre das nicht die Bekämpfung der Schulden betrügerisch in den Euro gelangter Staaten durch noch mehr Schulden und das Umfallen der Europäischen Zentralbank gewesen, sondern der rigorose Rauswurf Griechenlands!

Man mag auch das gar nicht mehr hören: Die Kanzlerin schwadroniert über einen Rettungsschirm für deutsche Sparer und darüber, dass es niemals mehr sein dürfe, dass der Steuerzahler für die Fehlentscheidungen von Banken gerade zu stehen haben - und unterzeichnet parallel dazu Verträge, die genau das zur Folge haben. Über 25 Prozent Kursgewinne vieler südeuropäischer Banken in dieser Woche sprechen eine klare Sprache, was da „gerettet“ wurde.

Die Bundesregierung, die europäischen Finanzminister und die „von jetzt auf gleich“ umgefallene Europäische Zentralbank haben sich zu einer Phobiegemeinschaft zusammen geschlossen, die panische Angst davor zu haben scheint, dass irgend etwas im Kurs fallen könnte. Aktien, Renten oder eben auch der Euro. Dazu einmal ein kleiner Blick zurück:

Als der Euro gegen den Dollar Ende 2005 bei knapp 1,17 notierte, bejubelten diese Damen und Herren zu Recht die dadurch verbesserten Exportchancen. Die deutschen Exporte stiegen - ebenfalls nicht zuletzt dank des schwachen Euro - jetzt im April so stark wie seit 18 Jahren nicht mehr. Vor was hat man also Angst? Vor dem Aufschwung? Im Übrigen:
Bei „nur“ 1,17 stand der Euro auch bei seiner Einführung am 01.01.1999. Als er dann zum offiziellen Zahlungsmittel wurde, notierte er gar nur bei 0,94 EUR/USD. Damals wurden diese Kurse als Zeichen der geglückten, erfolgreichen Einführung der Gemeinschaftswährung gefeiert! Heute stellt sich eine andere Frage:

Kennen Sie irgendeine Währung, die durch völlig irrwitzige Kreditaufnahme stabiler oder stärker geworden wäre? Ich auch nicht. Und die Devisenmärkte ebenfalls nicht. Denn heute steht EUR/USD deutlich unterhalb seines Freitagsstandes vergangener Woche. Trotz des 750 Mrd. Euro-Rettungspakets! Oder wegen!

PHRASENWECHSEL

Kaum ist die NRW-Wahl geschlagen, beeilt sich die Bundesregierung, den von ihren Kritikern zuvor angekündigten Knüppel auch tatsächlich aus dem Sack zu holen. Das fulminante Vorwahl-Steuersenkungspaket, auf der Flamme des Faktischen fachmännisch auf zuletzt 16 Mrd. Euro eingeköchelt, wurde von der Kanzlerin mit Verweis auf die konsequenten Sparbemühungen der öffentlichen Hand als Totgeburt abgeseiht, während Hessens Koch neue Rezepte für Einsparungen bei der Kinderbetreuung und im Bildungsetat präsentierte, und die Bayerische Landesregierung kurzerhand die geplante Neueinstellung von 1.000 Lehrern pro Jahr annullierte.

Dass in Zeiten von Wirtschaftskrise, schön geredeten Konjunkturdaten und einbrechenden Steuereinnahmen ein mit einem  schwarz-gelben Wahlkampfschleifchen geziertes Steuersenkungspaket schlichtweg nicht finanzierbar ist, hatten die Wähler schon lange erkannt. Um so schwieriger wird ihnen nun zu vermitteln sein, dass sie mit dem Zehnfachen dessen, was man ihnen als Geschenk versprochen hatte, für die Schulden anderer Staaten bürgen und sich das auch noch als „Rettung“ der eigenen Sparguthaben verkaufen lassen sollen.

Auch den Kommunen dürfte Berlins scheuklappenbewehrter Blick auf den angeblich sterbenskranken Euro übel aufstoßen. Denn wie der deutsche Städtetag heute bekannt gab, dürfte sich das Defizit der Kommunen in diesem Jahr auf 13 Mrd. Euro und damit auf den höchsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik belaufen. Allein gegenüber dem bisherigen Schuldenrekordjahr 2003 hat sich das Defizit damit verdoppelt.

Grob überschlagen und auf die Anzahl der Erwerbstätigen (lt. Bundesbank-Statistik) umgerechnet, bürgt jeder Arbeitnehmer nach dem Willen der Kanzlerin seit dem Wochenende für recht genau 4.000 Euro neue Schulden anderer Leute.  Dazu konnte es laut Frau Merkel, die doch in ihrem Amtseid geschworen hatte, Schaden vom deutschen (oder welchem?) Volk abzuwenden, ebenfalls keine Alternative geben.

Nach all den vielen Alternativlosigkeiten der letzten Wochen möchte ich sie nun auf einen anstehenden Phrasenwechsel vorbereiten. Als nächsten Erguss politischer Sprachpotenz sollten Sie sich auf „Denkverbote“ und „Tabus“ einstellen, die „es nicht geben darf“. Achten Sie darauf - dieser Phrase gehört die Zukunft! Nur:

Auch bis jetzt hat es keine Denkverbote gegeben, leider. Jeder durfte und darf hier ganz nach seinen Möglichkeiten. Aber muss denn daraus wirklich immer gleich Politik werden?

Ausgerechnet auf der Webseite des FDP-Bundesverbandes findet sich eine Kommentierung meiner letzten Kolumne. Es heißt dort: „Axel Retz schreibt heute deutlich, dass der Politik die Verbindung zur Wahrheit fehle. Anders: Die Politiker machen sich selbst etwas vor, was real völlig daneben liegt. Sie lullen sich gegenseitig mit Phrasen derart ein, dass sie den Inhalt nicht mehr erkennen“.

„Keine Denkverbote“ bedeutet, dass wie sich bereits abzeichnet, erst einmal kräftig bei den Bildungsausgaben, der Einstellung neuer Lehrer, der Wohnungsgröße für Hartz IV-Empfänger und dem Bau von Kindertagesstätten gespart werden soll. Und es bedeutet, dass sich die Bürger in den kommenden Wochen und Monaten auf massive Einschnitte in öffentliche Leistungen einstellen müssen.
Und auf wie auch immer versteckte Steuererhöhungen, eine PKW-Maut, eine drastische Einschränkung  von Förderungsmaßnahmen etwa für alternative Energien etc.. Kurz - auf Maßnahmen, die letztlich zwangsweise auf die Kaufkraft der Unternehmensgewinne durchschlagen werden.

EZB: VOM PAULUS ZUM SAULUS

Den Vogel abgeschossen hat in dieser Woche zweifellos die EZB. Wie bekannt, hatte sich die Notenbank binnen weniger Tag vom Paulus zum Saulus gewandelt. Hatte es Jean-Claude Trichet noch vor kurzem strikt abgelehnt, Staatsanleihen niedrigerer Bonität als Sicherheit für frisches EZB-Geld zu akzeptieren, nehmen die Währungshüter nun sogar als Ramsch eingestufte Rententitel an.

Dass EZB-Chefvolkswirt Stark das als Beitrag zur Stabilisierung der Teuerung und zur mittel- und langfristigen Eindämmung der Inflation bezeichnet, ist schon arg abstrus. Zur Stabilisierung des Euro hat es (bis jetzt) ganz offensichtlich schon einmal gar nicht gereicht. Wie auch, war das Signal an die Spekulanten doch das absolute worst case-Szenario: „Kauft, was immer ihr wollte - geht es schief, stehen wir für die Verluste gerade.“

Die von den Notenbanken und Regierungen beschlossene „General-Bailout-Absolution“ setzt die seit Alan Greenspan ohnehin schon stark an die Kandare genommene natürliche Marktzyklik vollends außer Kraft, verhindert eine Anpassung der Finanzmärkte an die wirtschaftliche Realität und deformiert diese damit dermaßen stark, dass es Kollaps der Finanzmärkte unausweichlich erscheint. Und je länger er mit virtuellem Geld auf die lange Bank geschoben wird, um so dramatischer wird er zwangsläufig ausfallen.

Achten Sie in den kommenden Wochen, Monaten oder auch Jahren darauf, ob die Bundesregierung eine kommende Währungsreform dementiert. Spätestens dann sollten Sie Ihr Kapital in Sachwerte umschichten (wozu natürlich auch substanzstarke Aktien gehören). Denn Dementis aus Politikermund sind in den vergangenen Jahren mit bedauernswerter Regelmäßigkeit zu Vorankündigungen mutiert.

Wenn Sie glauben, dass all das düstere Hirngespinste eines Berufspessimisten sind, lesen Sie noch einmal mein eingangs erwähntes Zitat von Mai 2003 und/oder auf meiner Webseite im Bereich Kolumnen einfach einmal meine Beiträge von 2007 oder 2008 nach. Kaum jemand vermochte sich damals vorzustellen, dass meine Prognosen einmal Realität werden könnten. Heute sind sie von der Wirklichkeit überholt worden.

Ein 30tägiger, natürlich kostenloser Testbezug des „Kapitalschutz-Briefs“ dürfte auch denjenigen Anlegern, die eine Dampfwalze immer noch nicht von einem Reisebus unterscheiden können, zur Erkenntnis dienlich sein. Und vielleicht schon ausreichen, um eine der wichtigsten finanziellen Weichenstellungen Ihres Lebens anzustoßen. Für die Sie, ohne nun das Faseln anzufangen, nicht mehr viel Zeit haben.

Vorab für das Kommende bedanken möchte ich mich bei der Kanzlerin, der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommission, Goldman Sachs, Alan Greenspan, Josef Ackermann und allen anderen Kabarettisten, den deutschen Landesbanken, der HypoReal Estate, den Ratingagenturen und all den rührigen Statistikern, die unsere Welt in den letzten Jahren und Monaten in ein stimmungsvolles Rosa getaucht haben. Apropos Tauchen: Natürlich auch beim Plunge Protection Team! Und bei Wolfgang Schäuble, der rechtzeitig genug ins Finanzressort abberufen wurde, um uns das Überwachungs-Ei fürs Kinderzimmer zu ersparen.

Viel Erfolg und beste Grüße!

Axel Retz

Der Verfasser betreibt die Webseite www.private-profits.de, die sich mit drei Börsendiensten an erfahrene Anleger und Trader wendet, ausdrücklich aber nicht an Leser, die aus 10.000 Euro binnen Kürze eine Million Euro zu machen gedenken und auf derartige Werbung abfahren.


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