Liebe Leserinnen und Leser,
jetzt fehlt nur noch das „Nach-Lehmanpleite-Börsen-Aufschwungbeschleunigungsgesetz“, und wir sind komplett!
Dass die Mehrwertsteuer für Sie einen Minder-Wert bedeutet, der Solidaritätszuschlag natürlich ein Abschlag und das Sondervermögen Finanzmarktstabilisierung Sonderschulden bedeutet, wissen wie ja.
Wir wissen auch, dass eine „Beitragsanpassung“ in der gesetzlichen Krankenkasse eine Beitragserhöhung bedeutet, eine „Entzerrung des Preisgefüges“ eine Verteuerung, ein „ins Stocken gekommener Friedensprozess“ Krieg, „Kollateralschäden“ zivile Opfer und eine „Rückführung ins Heimatland“ eine Abschiebung sind.
In Zeiten wie diesen löst es Erstaunen, Respekt, Verwunderung und ans Ehrfürchtige heran reichende Hochachtung aus, wenn ein Politiker in aller Öffentlichkeit einen Krieg erst als einen kriegsähnlichen Zustand und dann sogar als Krieg bezeichnet. Booah!
O tempora, o mores! Wie tief sind die Politiker denn gesunken, dass einer von ihnen, der die Wahrheit einmal nicht verdreht, bestaunt wird wie das letzte Einhorn? Und wie weit ist es mit uns gekommen, dass wir es über Jahrzehnte hinweg zugelassen, ja durch unsere Stimme letztlich sogar noch unterstützt haben, dass Lug, Betrug und Manipulation in der Politik zur Selbstverständlichkeit, wenn nicht sogar zum „must have“ wurden?
Und nicht nur dort. Unsägliches geschieht selbst bei den vermeintlichen Gralshütern der Moral, aber auch in der Industrie. Aber wen juckt es heute schon noch, wenn mit Siemens, MAN und Daimler gleich drei Dax-Unternehmen wegen massiver Korruption Millionensummen zahlen muss, ein MDax-Unternehmen im Tiefbau oder der Fertigung von Eisenbahntrassen nur einen Bruchteil sicherheitsrelevanter Stahlträger verbaut? Das waren nicht die Taliban.
Der schleichenden und unbemerkten Anpassung der Wertmaßstäbe (nach unten) kann sich nur entziehen, wer sich ihrer zuerst einmal bewusst geworden ist. Und die in vielen Medien immer häufiger nur noch in homöopathischer Verdünnung zur Verfügung stehende Wahrheit über politische, ökonomische und soziale Prozesse und Entwicklungen fördert das nicht gerade, Verdünnung wird zu Verdummung.
Vermählt sich diese Tendenz mit der Neigung zur selektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit, nistet sich im Hirn rasch der Eindruck eines Lebens in der besten aller möglichen Welten ein. Auch in Wirtschaft und Finanzmarkt.
Eine ökonomische Welt, in der Sterbenskrankes nicht mehr sterben und sich selbst für systemrelevant erklären darf, um dann auf auszehrende Kosten des Ganzen alimentiert zu werden, ist aber nun einmal nicht die beste aller möglichen Welten. Eher ihr Gegenteil.
FLUCH DER GUTEN TAT
Na prima! Nachdem die europäischen Staaten, geschickt getarnt durch den ins Boot geholten IWF, die im EU-Vertrag festgelegte „no bailout“-Klausel für ein von der Pleite bedrohtes Euroland umgangen haben, treten nun auch die griechischen Banken auf den Plan, die sich ebenfalls „retten“ lassen wollen.
Ich hatte es ja immer und immer wieder als krassesten aller Fehler der Notenbanken und Regierungen bezeichnet, vom Untergang bedrohte Systemkomponenten unter dem fadenscheinigen Verweis auf eine angebliche „Systemrelevanz“ nicht der ökonomischen Selektion überlassen zu können
Die Rechnung der griechischen Banken ist von bestechend simpler Logik: Geht ihnen die Luft aus, muss der Staat einspringen, dem schon die Luft ausgegangen ist und die Rettungsforderungen dann an die europäischen Partner inkl. IWF durchreicht.
Der Fluch der guten Tat, Griechenland eine Rettungszusage zu geben, metastasiert damit nicht wie erwartet zuerst in andere europäische Notfallkandidaten, sondern ins griechische Bankensystem.
Die Anleihemärkte reagierten sofort und ließen den Zinsspread zwischen Hellas-Bonds und dem Euro-Bund-Future auf einen neuen Rekord hoch schnellen, während der Euro gegenüber dem Dollar weiter nachgab und nun von einer wachsenden Anzahl von Schwarzsehern für todgeweiht gehalten wird.
Interessanterweise ist das bearishe Sentiment für den Euro mittlerweile recht weit in die Zone vorgerückt, aus der heraus in der Vergangenheit Trendwenden nach oben gestartet wurden. Dass sich das heute nahezu niemand mehr vorstellen kann, gerade das spricht für diese Chance.
Nicht mehr vorstellen kann sich die Mehrheit der Anleger heute aber offensichtlich auch, dass der Dax irgendetwas anderes tun könnte als weiter zu steigen. Denn das Volatilitätsbarometer VDax ist wieder einmal im unteren Extrembereich angelangt; die Sorglosigkeit also ausgesprochen hoch.
Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Märkte bejubeln, wieder auf dem Kursniveau von vor der Lehmanpleite angelangt zu sein. Aber wurde denn auch nur ein einziges der damaligen Probleme gelöst? Nein. Sie wurden unter virtuellem Geld begraben, das es gar nicht gibt, für das Sie und ich aber gerade zu stehen haben werden.
Wer es immer noch nicht begriffen hat, auf was das Ganze hinaus läuft, dem kann man nicht helfen. Aber niemand sollte sich nachher darauf berufen, von allem ja nichts mit bekommen zu haben.
Sehen Sie sich den Chart EUR/USD im Vergleich zum Sentiment dieses Währungspaares an! Sehen Sie sich die irrwitzige „umgekehrte Schulter-Kopf-Schulter“-Formation bei der Rendite der zehnjährigen T-Bonds an. Und den VDAX oder sein US-Pendant VIX. Und vergleichen Sie das einmal mit der aktuellen Markterwartung. Aber lassen Sie sich deswegen nicht den Frühling versauen! Gerade der Mai ist ein wunderschöner Monat, in den Sie nicht ohne Puts gehen sollten. Z. B. auf Rohöl, den Dax oder den DJIA. Und mit langfristigen Zins-Puts dürften Sie auch einen Volltreffer landen. Beim Euro spricht bis jetzt nur das grottenschlechte Sentiment für eine Trendwende. Aber auch hier dürften bald „Überraschungen“ anstehen.
Viel Erfolg und beste Grüße!
Axel Retz
Der Verfasser ist Herausgeber der Webseite www.private-profits.de, die sich in ihrem Angebot sowohl an konservative als auch an spekulative Anleger bzw. Trader wendet. |