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142.308 JAHRE

7.400 Milliarden US-Dollar, so hat der Informationsdienstleister Bloomberg in der vergangenen Woche berechnet, haben allein US-Regierung und Federal Reserve bis jetzt an Direkthilfen, Kreditgarantien und Liquiditätsinjektionen in den Finanzmarkt gepumpt. Milliarden? 2,40 Meter kann sich Otto-Normalverbraucher ja noch vorstellen. Aber 7.400 Mrd. Dollar? Um es griffiger zu machen: Wenn Sie Woche für Woche eine Million Dollar im Lotto gewönnen, hätten Sie diese Summe nach knapp 142308 Jahren zusammen, falls Sie nicht überraschend vorher sterben sollten.
Die mittlerweile völlig außer Rand und Band geratene Verschuldungsorgie hat einen Hintergrund, wie er absurder kaum sein könnte:

Unter Alan Greenspan begann das Experiment, die „Naturgesetze“ von Wirtschaftszyklen ein für allemal abzuschaffen. Einfach, indem man jedwedes Problem oder das, was man für eines hielt, unter einem Berg billiger Liquidität erstickte. Weder Unternehmen noch Privatpersonen sollte heute angelastet werden, dass sie die von der Notenbank kreierten und von den Geschäftsbanken ausgelegten Giftköder billiger Kredite bereitwillig schluckten, ohne sich deren Suchtpotential bewusst zu sein. Peter Schmitz und Lieschen Müller freuen sich, wenn ihnen Hypotheken gewährt werden, obwohl sie Kleinverdiener sind. Aber allein das blinde Vertrauen in die Banken und erst recht die Notenbank ziehen sie widerstandslos auf den Leim.

Niemand, so hören wir heute (zuletzt von der Bayerischen Landesbank, die über 10 Mrd. Euro Soforthilfe braucht), habe diese Krise kommen sehen können. Für Ben Bernanke, der noch im letzten Sommer von einem maximalen Verlustrisiko von 100 Mrd. Dollar träumte, mag das zutreffen. Und für die meisten Akteure in den Chefetagen der Banken ebenfalls, da ihnen vor den Pupillen rotierende Dollarzeichen die Sicht auf die Wirklichkeit verstellten.

Und die Politiker, die heute den Bankern Inkompetenz und Gier vorwerfen? Bis vor rund drei Monaten waren auch sie noch der Überzeugung, dass die Finanzkrise nicht auf die Weltwirtschaft übergreifen werde.

MAI 2003: EINIGE GEDANKEN ZUM US-KREDITSYSTEM

Gar so unvorhersehbar wie heute der Öffentlichkeit gerne weisgemacht, war das Dilemma aber ganz und gar nicht. Als ich im Mai 2003 meinen „Kapitalschutz-Report“ veröffentlichte, schrieb ich dort auf Seite 58:

„Neue Kredite werden vergeben, um alte zu tilgen. Diese private, unternehmerische und staatliche „Defizitfinanzierung“ macht durchaus Sinn, wenn die laufenden Einnahmen nur kurzfristig hinter den Ausgaben zurückbleiben. Verselbständigt sich das „deficit spending“ jedoch, ohne dass seine Ursachen eingedämmt werden, stülpt es einen größeren Kredit über einen kleineren, Zinsverpflichtung auf Zinsverpflichtung. In Zeiten fallender Zinsen und einer anhaltenden Bereitschaft der Gläubiger zur Kreditvergabe „schmiert sich“ dieses System quasi von selbst, ohne dass der Mehrzahl der Beteiligten das entstehende Risiko bewusst wird.“

Diese Aussage ist heute ebenso korrekt wie vor fünf Jahren.

Auf Seite 60 führte ich damals aus: „Realistischerweise muss gefolgert werden, dass es wenig wahrscheinlich ist, dass ausgerechnet diejenigen Beteiligten, die die Systemkrise sehenden Auges provoziert haben und ihren Auswüchsen hilflos gegenüberstehen, nun in der Lage sein könnten, eine Lösung des Problems zu bewerkstelligen!“

Auch das gilt nach wie vor, wird bis jetzt aber offensichtlich noch nicht verstanden. Denn abgesehen von wenigen Topp-Bankern, denen ihr Abgang mit einem „goldenen Handschlag“, kleben nach wie vor die Crashpiloten auf ihren Sesseln.

Als absolutes „Highlight“ zitierte ich damals allerdings eine Aussage aus einer Untersuchung von 1966, die sich mit den Ursachen des Zusammenbruchs der Weltwirtschaft und der Börsen 1929 auseinander setzte. Der Autor schrieb:

„Der Überschuss an Krediten, den die Nationalbank von Japan und die FED in die Wirtschaft gepumpt hatten, sprang auf den Aktienmarkt über – was einen phantastischen Boom auslöste. Verspätet wurde von den Vertretern der Federal Reserve versucht, den Liquiditätsüberhang abzuschöpfen und schließlich gelang es auch, den Boom zu stoppen. Aber es war zu spät. 1929 war das spekulative Ungleichgewicht so groß geworden, dass die Bemühungen der Notenbank einen starken Personalabbau in der Wirtschaft und eine erhebliche Eintrübung des Geschäftsklimas auslösten. Das Ergebnis war eine kollabierende US-Konjunktur. Die Weltwirtschaft stürzte in die große Depression der 30er Jahre.“

Was diese Aussage so delikat macht ist, das Sie von Alan Greenspan selbst stammt. Als er 21 Jahre nach Niederschrift dieser Analyse ins Amt kam, erhob er die von ihm selbst aufgedeckten Ursachen der Großen Depression geradezu zum Dogma.

VERKEHRTE WELT

Im Rückblick und in Hinsicht auf das Kommende möchte ich festhalten:Erstens: Am 09. August letzten Jahres griffen die internationalen Notenbanken erstmals in die (damals noch als „Hypothekenkrise“) bezeichnete Krise ein. Seitdem haben sie Hunderte von Milliarden Dollar verliehen. Und dafür „Sicherheiten“ akzeptiert, die sie zuvor niemals akzeptiert hätten. Never.

Zweitens: Damit wiederholen sie genau den Fehler, den zuvor die Geschäfts- und Hypothekenbanken begangen hatten: Sie begeben sich auf das Minenfeld fauler und faulster Kredite.

Drittens: Der von der US-Regierung offerierte Zinssatz für Anleihen ist angesichts der Risiken ein Witz; witziger ist nur noch, dass die Anleger das nicht verstehen.

Viertens: Wie von mir in meinen Kolumnen der vergangenen 12 Monate immer wieder prognostiziert, klemmt der Kreditkreislauf am Nadelöhr der Banken. Nicht weil zu wenig Liquidität vorhanden wäre (dieses Manko haben die Notenbanken und Staatsgarantien ausgeglichen), sondern, weil die Banken die Bonität vieler Gläubiger einfach nicht mehr korrekt einschätzen können – nicht zuletzt gerade aufgrund der von ihnen selbst ins Leben gerufenen Finanzprodukte.

Fünftens: Die Anzahl der noch zum Untergang anstehenden Kredite ist völlig offen. Die Werthaltigkeit der sgn. Credit Default Swaps, einer Art Kreditausfallabsicherung, erst recht. Und hier reden wir nicht über die eingangs zitierten 17.400 Milliarden Dollar, wir sprechen von geschätzt 62 Billionen Dollar. Niemand ist heute in der Lage, die Kreditausfallrisiken potentieller Kreditnehmer korrekt zu bewerten. Entsprechend groß ist die Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe. Nicht mangelnde Liquidität ist das Problem, sondern unkalkulierbare Risiken in Form aktuell schlichtweg nicht bewertbarer Risiken.

Sechstens: Anstatt im Winter weiter Sommer spielen zu wollen, müssen sich alle Verantwortlichen wieder mit dem ganz natürlichen Ablauf von Konjunkturzyklen abfinden: Boom and bust, sieben fette und sieben magere Jahre. Was ist denn so schlimm an einer Rezession, das man sie auf Biegen und Brechen und koste es, was es wolle, solange „hinaus manipuliert“, bis eine katastrophale Depression daraus wird!?

Siebtens: In den vergangenen Jahren häuften sich Entwicklungen, von denen früher eine einzige ausgereicht hätte, um die Märkte in einen veritablen Crash eintreten zu lassen. Die, abgesehen von mehr oder minder kleinen „Betriebsunfällen“, geradezu pathologische Angst der FED, Unternehmenspleiten überhaupt noch zuzulassen, hält jedoch vieles künstlich am Leben, das auch in Zukunft nur durch beständige Geldinfusionen überleben wird und vor allem niemals dem wachsenden Wettbewerbsdruck der globalisierten Wirtschaft stand halten wird. Diese Unternehmen muss man sterben lassen. Und ihr Mitarbeiter auf Zukunftstechnologien umrüsten statt sie in staatlich subventionierten Anachronismen einzuzementieren.

MEIN FEIERDAXCHART

Heute haben wir unsere Weihnachtskarten entworfen, die in der kommenden Woche in Druck gehen werden. Der dort abgebildete „Feierdaxchart“ symbolisiert, dass der Dax heute wieder dort angelangt ist, wo er auch schon 2004 einmal war. Gut, anderen Indizes geht es noch erheblich schlechter.

Um so bemerkenswerter fand ich einen Beitrag in einem Aktienboard, den ich gestern fand. Ganz zu Recht wurde dort angeprangert, dass sich selbst nach diesem Jahr die „Investment-Pornographie“ immer noch mit geradezu perversen Mailings auf Dummenfang begibt und die Trommel für Börsendienste oder Fonds rührt, für die 2008 eine schiere Aneinanderreihung schwarzer Freitage war.

Wir sind in diesem Jahr ausgesprochen gut gefahren. Und solange uns nicht zu allem Unglück auch noch die Equity Fonds, die Credit Default Swaps oder die Derivate insgesamt oder gar der Dollar um die Ohren fliegen, wird auch 2009 ebenso erfolgreich verlaufen.

Die Risiken einer Weltwirtschaftskrise, Depression und Währungsreform sind allerdings keineswegs vom Tisch. Lieder gibt es einige „klassische“ Indikatoren, die genau in diese Richtung deuten. Wir der Einbruch des Baltic Dry-Frachtratenindex um 94 Prozent vom 20. Mai bis zum 31. Oktober. Oder der in etwa ähnlich hohe Rückgang des Handelsbilanzüberschusses in Japan im Oktober im Vergleich zum Vorjahresmonat. Oder die Erwartung der Deutschen Bahn, dass der Güterverkehr im Dezember um 40 Prozent einbrechen könne. Oder die am Freitag veröffentlichte Geschäftsprognose von Thyssen-Krupp. Oder, oder, oder ...

Ich meine: Lassen wir es auf uns zukommen. Einen Auf- oder einen Abschwung überleben, kann (fast) jeder. Erst an der Messlatte eines ganzen Zyklus scheidet sich die Spreu vom Weizen. Und ein Anlage-Optimismus, der sich auch in schlimmsten Bärenmärkten geldwert bewährt, ist mir allemal näher als jede Untergangsstimmung! 2008 war KLASSE! Und 2009/2010 werden wir unseren Kurs halten.

Was ich kurzfristig erwarte? Eine Rallye!

Beste Grüße!
Axel Retz

Der Verfasser ist Herausgeber der Seite www.private-profits.de © Axel Retz, 28.11.2008


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