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IM BRUTKASTEN DER ANGST

Immer wenn es so heiß ist wie jetzt gerade, kommt mir eine meiner Lieblingsgeschichten über die Börse in den Sinn. Sie hat den Vorteil, sich tatsächlich ereignet zu haben. Und sie transportiert eine Botschaft, die sich jeder gewinnwillige Anleger einmal durch den Kopf gehen lassen sollte.

Chicago Board of Trade (CBOT), ein heißer Julitag irgendwann in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Auf dem Parkett der Terminbörse für Weizen schwitzten sich die Händler fast zu Tode. Zum einen wegen der unerträglichen Hitze, die nun schon seit Wochen anhielt und das damals noch höchste Gebäude Chicagos in einen Brutkasten verwandelt hatte.

Mehr noch als wegen der unerträglichen Temperaturen schwitzen die Händel wegen des Weizenpreises. Denn auch in der „Kornkammer“ der USA im mittleren Westen und Süden der USA hatte es seit Wochen keinen einzigen Tropfen mehr geregnet. Und in den great plains mit ihren riesigen Weizenfeldern wies der Boden tiefe Dürrerisse auf, das Getreide dörrte unter der sengenden Sonne seinem baldigen Ende entgegen.

Der Markt reagierte natürlich auf dieses Geschehen: Wegen der zu erwartenden Enteausfälle eröffnete der Handel nahezu täglich „limit up“, d. h. mit einer scharfen Aufwärtsbewegung, die nach dem Regelwerk des Futuresmarktes zur sofortigen Handelsaussetzung führte. Wer long gehen wollte, kam nicht in den Markt hinein. Und wer short war, der kam nicht aus seinen Positionen heraus.

Dann, am Nachmittag, zogen plötzlich kleine Wölkchen über Chicago auf. Aus kleinen Wölkchen wurden große, aus hellen dunkle. Und kurz darauf öffnete der Himmel seine Schleusen und ein sintflutartiger Wolkenbruch ergoss sich über die Stadt.

Und der Weizenpreis? Er stürzte senkrecht in die Tiefe.

Was die Händler in ihrem Freudentaumel völlig übersahen: Über den Weizenfeldern im mittleren Westen und Süden brannte wie schon seit Wochen aus tiefblauem Himmel eine erbarmungslose Sonne herunter...

Man mag einwenden, dass so etwas in der heutigen Zeit mit ihrer ausgefeilten Technologie und Kommunikation nicht mehr passieren könne. Das ist wohl wahr.

Wahr ist aber auch, dass sich das Reaktionsmuster der Anleger nicht verändert hat: Nur zu gerne und ohne jedes Hinterfragen nehmen Investoren gerne Nachrichten oder Daten auf, die ihrem Wunschdenken Vorschub leisten.

PLÖTZLICH UND UNERWARTET

Das wissen auch die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik, insbesondere in den USA. Ich habe hier in meinen Kolumnen wiederholt unterstrichen, dass die veröffentlichten Daten nur unter Zuhilfenahme einer „sachzwangreduzierten Ehrlichkeit“ zustande kommen können.Es ist ja schlechterdings nicht vorstellbar, dass die weltweit profiliertesten Volkswirte seit Monaten beständig „überrascht“ werden von positiver als berechnet ausgefallenen Daten, die dann nach üblichem Muster ein paar Monate später nach unter korrigiert werden.

So wie am heutigen Donnerstag die Zahlen zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, die für das letzte Quartal 2007 geradezu dramatisch nach unten korrigiert wurden. Nur:

Da schaut nun niemand mehr hin, denn da will niemand mehr hinschauen. Alles nicht so schlimm – das signalisierten die jeweils neuen Daten, bis auch sie in einer späteren Revision geschreddert werden.

Parkplätze mit über 1000 Plätzen, auf denen US-Bürger nun nach dem Verlust ihres Eigenheims ihr Leben fristen – das ist die heutige Realität. Erstaunlicherweise gibt es auch Medien, die diese Bilder verbreiten. Dass die Umfragewerte zum Verbrauchervertrauen vor diesem Hintergrund zuletzt gestiegen sein sollen, hat einen eigenen Charme.

Plötzlich und unerwartet werden die positiven Wirtschaftsdaten posthum relativiert. Die Anleger, auch aus dem Euroraum, fressen das den Statistikern bereitwillig aus der Hand. Und das, obwohl sie unter Einberechnung des Wertverlusts des Dollars an der Wall Street seit Jahren nur Verluste einfahren.

Die US-Notenbank, der Einlagensicherungsfonds und die Regierung werden buchstäblich alles versuchen, um eine Kernschmelze des US-Finanzsystems zu verhindern. Und den Eindruck zu erwecken, dass wir uns in „völlig normalen“ Zeiten bewegen. Die meisten Anleger werden das glauben, weil sie es glauben wollen. Und weil die Akzeptanz der Wirklichkeit ungute Emotionen auslöst – wie beim Weizen-Beispiel oben.

Noch setzt die Börse auf Trendwende. Ich weiß nicht. Institutionelle und Privatanleger verabschieden sich aus deutschen Aktien, wie die neuesten Zahlen zeigen. Die laufende „Verdrängungsrallye“ ist schön. Denn sie bereitet den Boden für neue, preiswertere Put- Käufe, die dann gewaltige Gewinne abwerfen, wenn die Anleger zu realisieren beginnen, wo es regnet – und wo nicht.

Beste Grüße!
Axel Retz

Der Verfasser ist Herausgeber der Seite www.private-profits.de © Kolumne für www.zeitenwende.ch, 31. Juli 2008


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