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Der wirklich teuerste Satz der Welt

Eine Börsenphase, in der nur alles schlecht oder nur alles gut ist, gibt es nicht. Und erfahrungsgemäß sind es gerade die besonders „guten“ Zeiten, in denen auch einmal an Gewinnsicherungen gedacht wer- den sollte, während in den als grottenschlecht empfundenen Zeiten die besten Kaufgelegenheiten war- ten. Emotionen und vor allem Massenpsychologie sorgen dafür, dass der Durchschnittsanleger beides verpasst und nahe des Markttopps Calls, nahe des Tiefs hingegen Puts kauft. Motto: „Diesmal ist wirk- lich alles anders!“ Der wirklich teuerste Satz der Welt.

Damit das funktioniert, hat die Natur den bestens funktionierenden Mechanismus der selektiven Wahr- nehmung erfunden, der uns dabei behilflich ist, aus der Fülle objektiv zur Verfügung stehender Informa- tionen nur die wahrzunehmen, die zu unseren jeweiligen Erwartungen, Interessen und Einstellungen passen.

Ein schönes und vor allem aktuelles Beispiel dafür ist die US-Immobilien-Story. Der US-Notenbank war es nach dem Zusammenbruch der New Economy-Blase durch eine extrem lockere Geldpolitik ge- lungen, die Konjunktur durch das Aufblähen einer neuen Blase, diesmal am Immobilienmarkt, wieder anzukurbeln, was allerdings eine Therapie mit erheblichen langfristigen Nebenwirkungen war.
Völlig zu Recht verwiesen die Bullen unter den Anlegern in den nachfolgenden Jahren darauf, wie positiv sich die enormen Preissteigerungen am Häusermarkt auf die Kaufkraft der Verbraucher und damit auf das bekanntermaßen weitgehend von ihm getragene BIP auswirkten.

Heute, das dürfte sich herumgesprochen haben, hat sich die Preiskurve des US-Immobilienmarktes nach unten gewendet.

Der Fleck muss weg (1)

Was diese neue, im Vergleich zu 2003 - 2005 völlig gegenteilige Entwicklung betrifft, haben viele Haussiers heute einen blinden Fleck auf der Optik. Wobei doch auf der Hand liegt, dass der Fortfall einer richtigerweise als positiv erkannten „Konjunkturlokomotive“ bzw. deren neuer Betrieb im Rück- wärtsgang auch die zuvor berechtigten, bullishen Argumente betreffen bzw. umkehren muss.

Hier hat sich offensichtlich die Maxime durchgesetzt: „Wenn Du gegen eine schlechte Entwicklung zurzeit nichts Effektives tun kannst - dann am besten diese Entwicklung vorerst nicht wahrnehmen.“

Chart 1Chart 2

Dieser „blinde Fleck“ lässt sich mit Hilfe von zwei Charts schnell in einen neuen Durchblick verwan- deln, vorausgesetzt, der Betrachter hält nicht am „wirklich teuersten Satz der Welt“ fest.

Der Einbruch am US-Häusermarkt, von mir grob skizziert durch den NAHB-Housing-Index und die Entwicklung der Neubaubeginne in den USA, bedarf keiner Kommentierung: Hier haben wir einfach einen regelrechten Crash vor Augen. Und zwar einen Crash der „Reichtumsmaschine“ der vergangenen Jahre für den US-Konsumenten.

Um diese Charts in optimistische Argumente zu verbiegen, braucht es mehr als einen Uri Geller.

Der Fleck muss weg (2)

Einen zweiten, vermutlich ebenfalls auf Dauer recht kostspieligen „blinden Fleck“ leisten sich viele Bullen heute im Hinblick auf die Charts. Auch hier haben sie in den vergangenen Jahren bei jeder Korrektur eines Aktienindex auf die Anfang 2003 eingeleitete Aufwärtstrendlinie ganz zu Recht darauf verwiesen, dass so etwas eine Kaufgelegenheit ist, solange der Trend selbst hält.

Richtig. Im Januar aber sind nun einmal bei den allermeisten der weltweit bedeutendsten Aktienindizes (noch nicht im Dax und im TecDax) diese langfristigen Trendlinien nach unten durchbrochen worden. Ebenso die 200 Tage-GDs, die zu allem Übel auch noch nach unten eingedreht haben. Als Beispiele bilde ich den S&P 500 und den DJ Euro Stoxx 50 ab:

Wenn es aber richtig ist, dass Korrekturen innerhalb eines Aufwärtstrends ausgezeichnete Kauf-gelegentheiten darstellen, dann schafft der Bruch dieses Aufwärtstrends völlig neue chartechnische Bedingungen, möglicherweise bedeutet er auch den Beginn eines Bärenmarktes.

Chart 3Chart 4

Es ist schon erstaunlich, mit welchen intellektuellen Klimmzügen einige Analysten heute versuchen, diese charttechnische Binsenweisheit wegzudiskutieren. Sie wissen schon: „Diesmal ist wirklich alles ganz anders.“

Kurzfristig, das möchte ich unterstreichen, sind die Märkte extrem überverkauft. Das spricht für eine Fortsetzung der von den letzten Tiefs aus gestarteten Kurserholung. Andererseits finden sich in einer Vielzahl von Aktienindizes seit eben diesem Kurstief charttechnisch ausgesprochen alarmierende For- mationen (Wimpel bzw. Flaggen), während deren Ausbildung die Umsätze im Vergleich zum vorherigen Absturz im Januar deutlich abnahmen.

D. h.:

Formal charttechnisch sind die kommenden zwei - drei Wochen, vorsichtig ausgedrückt, als ausgespro- chen „brisant“ zu bezeichnen und könnten sogar das Januar-Ausmaß der Verluste übertreffen!

Die extrem stark überverkaufte Marktlage steht also einem regelrechten Absturz-Szenario gegenüber. Eine Ausgangslage, in der jeder Trader, der sich noch ein Tröpfchen spekulativen Temperaments in den Adern bewahrt hat, einfach in den Markt „muss“. Denn egal, für welche Richtung sich der Markt auch entscheidet, es winken exzellente Gewinnmöglichkeiten!

Und noch ein paar Fleckchen ...

Das Ausmaß des Immobilien-Crashs und dessen immer weiter wachsenden Rattenschwanz zu verdrän- gen, ist das eine. Die charttechnischen Trendbrüche der jetzt fast fünf Jahre bestehenden Hausse wegdiskutieren zu wollen, das andere.

Ich möchte Ihnen aber noch vier weitere Charts vorstellen, die von der Masse der Optimisten heute zur unbeschwerten Aufrechterhaltung der bullishen Perspektive sicherheitshalber lieber nicht zur Kenntnis genommen werden. Sie alle sagen nichts über die kurzfristige Entwicklung der kommenden Wochen aus, sind aber ausgesprochen hilfreich im Hinblick auf die langfristigeren Aussichten.

Chart 5Chart 6

Links habe ich Ihnen einen Chart des Russell 1000 abgebildet. Dieser Index repräsentiert einen noch größeren Teil der gesamten Marktkapitalisierung der Wall Street als der S&P 500, nämlich über 92%. Wie Sie sehen, hat auch er nun definitiv seine seit Anfang 2003 gültige Aufwärtstrendgerade durchbrochen. So weit, so schlecht. Wirklich „dramatisch“ ist dieser Trendbruch bis jetzt aber nicht abgelaufen.

Der rechte Chart hingegen erlaubt uns sozusagen den Blick hinter die Kulissen: Er zeigt uns die Advance/ Decline-Linie (A/D-Linie), die die Anzahl steigender/fallender Aktien misst und damit ein Barometer für die Marktbreite des Kursverhaltens ist. Die A/D-Linie skizziert Markttrends in aller Regel früher als die Aktien-Indizes. Sie sehen:

Auch hier ist der 2003-Aufwärtstrend durchbrochen worden, allerdings „crash-artig“. Und mit einem Absturz, wie er nicht einmal ansatzweise in meinem gesamten seit 1979 zur Verfügung stehenden Da- tenmaterial zu finden ist.

D. h.:

Selbst wenn die Wall Street kurzfristig tatsächlich noch einmal mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davon kommen sollte - auf Sicht deutet sich hier aus technischem Blickwinkel eine Kursentwicklung an, die Chancen hat, einmal als „historisch“ in die Geschichtsschreibung der Börse einzugehen. Denken Sie daran: Nichts „muss“ an der Börse geschehen, es ist aber immer von Nutzen, wichtige Hinweise im Auge zu haben!

Um diese Kolumne nicht zum Zeitfresser für Sie werden zu lassen, möchte ich Ihnen abschließend nur noch zwei Charts vorstellen. Der eine als mein „Lieblings-Chart“ ist den Meisten von Ihnen vertraut: Er zeigt den Zusammenhang zwischen dem Leitzins der US-Notenbank (Federal Funds Rate) und dem Kursverlauf des S&P 500, der andere die Entwicklung der Börsenkredite in den USA.

Chart 7Chart 8

Wer in Anbetracht des linken Charts weiterhin am Credo festhalten möchte, dass fallende Leitzinsen per se bullish für die Aktienmärkte, steigende hingegen bearish sind, der mag das tun. Meine seit vielen Monaten dagegen gestellten Argumente will ich nicht wiederkäuen; Sie finden sie wiederholt in älteren Kolumnen.

Wirklich bemerkenswert an diesem Chart ist für mich etwas ganz anderes: 2000/2001, in der Anfangsphase des Niedergangs der New Economy, wartete die Federal Reserve mit dem Beginn der Leitzinssenkungen ab, bis die Kurse an der Wall Street schon deutlich ins Rutschen gekommen waren. Ebenso abwartend verhielt sie sich mit der Verschärfung der Geldpolitik 2004 - da war der S&P 500 bereits deutlich auf dem Weg nach oben.

Ganz anders jetzt: Die FED leitete ihre Zinssenkungen ein, als die Wall Street noch unweit ihres neuen Allzeithochs lag. Vermutlich waren den Währungshütern bereits Daten bekannt, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Trifft das auch heute noch zu, sollte der jüngste, hektisch wirkende „Doppelschlag von 4,25% auf 3,00% zu denken geben!

Zum rechten Chart. Die auf Pump gekauften Aktien an der Wall Street (Börsenkredite) stellen vor allem eines dar: Ein sehr marktnahes Stimmungsbarometer. Anders als viele andere Sentiment-Indikatoren misst es nicht, was die Anleger sagen, sondern das, was sie tatsächlich tun. Genau deswegen ließen sich mit ihm auch die letzten wirklich markanten Trendwenden an der Wall Street auf den Punkt genau einfangen. Was der aktuelle Verlauf des Indikators aussagt, erkennen Sie im Chart.

Zusammenfassend: In den kommenden Wochen besteht eine 50:50-Chance für einen massiven Kurs- rutsch (Crash!) - trotz der stark überverkauften aktuellen Börsenlage. Daraus lässt sich, finanziell gese- hen, einiges machen, nämlich aus einem kleinen Kapitaleinsatz ein Batzen Geld. Wobei Sie nur mit Kapital zu Werke gehen sollten, das Sie ggf. auch schmerzfrei verlieren können. Aber eine Chance wie diese ungenutzt verstreichen lassen? Nein!

Beste Grüße!
Axel Retz

© 2008 www.private-profits.de, 09.02.2008


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